Ich habe ein Bild vor Augen:

Ein riesiges Stadion. Hohe Ränge, die sich so weit in den Nachthimmel türmen, dass ihr Ende nicht zu sehen ist. Auf den Rängen stehen wir, sehr viele Menschen, dicht an dicht. Wir rufen, wir singen und lachen. Ein großes, fröhliches Miteinander. Auf dem Spielfeld: 1 Ball und 22 Spielende, Moment, da ist noch ein Ball, und noch einer, und nirgends ein Schiedsrichter, wie viele Tore stehen da eigentlich, und jetzt strömen immer mehr Menschen auf den Rasen.

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Keine Antwort.

Wenn mich jemand fragt, was ich zuletzt geträumt habe, habe ich oft keine Antwort.

Selten erinnere ich mich an die Träume, die nachts wohl da gewesen sein müssen, und spätestens mit dem ersten Kaffee am Morgen sind auch die letzten Fetzen des Traumes weg. Nur an einen einzigen wiederkehrenden Traum kann ich mich erinnern: Ich stecke fest, klebe am Boden, die Füße sind betonschwer, nichts geht mehr vor oder zurück. Eine dunkle Bedrohung nähert sich mir – und ich kann nicht flüchten. Ein klassischer Albtraum. Am liebsten würde ich hinrennen zu diesem Traum-Ich, am Morgen, nachdem ich das geträumt habe, und mit einer gekonnten Grätsche alle Schnüre und klebrigen Fäden durchtrennen. Aber das geht ja nicht, denke ich.

Und dann denke ich, eigentlich habe ich doch ganz viele Träume! Aber am helllichten Tag. Es gibt die persönlichen Träume, die mir zum Teil auch peinlich, weil privat sind – und die ich doch mit anderen teile, Träume von Kindern, einem Hund, einem Haus, Reisen, Gesundheit, vielen Freund:innen. Wahrscheinlich haben diese Träume auch viele andere. Aber irgendwie sind diese Träume nach hinten gerutscht. Angesichts der Nachrichten- und Instagram-Feeds voll von Waldbränden, Hochwasser, Armut, Ungerechtigkeit, Krieg, steigenden und sinkenden Kurven, die alle nichts Gutes verheißen – weil die Herausforderungen der Gegenwart so groß sind, fällt mir das Träumen schwer. 

Zum Glück bin ich vor einigen Monaten ins Stadion der Träume geraten. Dort erlauben wir uns zu träumen. Wir glauben, dass Träumen eine Notwehr angesichts des gegenwärtigen Zustands der Welt ist. Und weil die Welt sonst so bleibt wie sie ist, lassen wir uns von unseren Träumen in Bewegung versetzen. Wir nehmen unsere Träume ernst und glauben nicht, dass sie weltfremd sind. Denn kein Mensch träumt von etwas, das ihn nichts angeht. Und was ist realer als der Mensch, der die Erde nach seinen Bedürfnissen formt? 

Wir, das waren zuerst zwei Teams, elf Jugendliche und elf Erwachsene, die sich auf das Träumen eingelassen haben. Mit einem mutigen Schritt aufs Spielfeld haben wir das Spiel begonnen. Im Spiel haben wir uns kennengelernt und kamen wir den Träumen näher, den eigenen und denen der anderen. Es gibt nämlich genauso viele Träume wie Träumende, kein Traum gleicht exakt dem anderen. Im Training haben wir versucht, die Grenzen des Denkbaren zu weiten, spielerisch die vermeintlich festgezurrten Grenzen der Wirklichkeit zu verschieben und uns gestattet, wieder naiv zu sein. Gemeinsam haben wir geträumt: Wir spielten Steilpässe in den unbekannten Raum, wir jagten den kleinen und großen Träumen hinterher, Träumen von Zusammenhalt, Gerechtigkeit, einer lebenswerten Zukunft auch angesichts der Klimakatastrophe. Manchmal verhedderten wir uns, fielen über die eigenen Beine, rappelten uns auf und der Traum war weg. Ein anderes Mal stand der Traum im Abseits. Unerreichbar! Dann kamen wir mit einer Seitenverlagerung bis kurz vors Tor. Aber es gelang uns erst, als wir richtig zockten: den kurzen unbemerkten Augenblick wahrnahmen, die Gelegenheit nutzten, und mit einem atemlosen Dribbling es vorbei an den heranfliegenden Traumzerstörern schafften und okay, das Tor verrückten. Dafür haben wir auch Sicherheiten losgelassen, Kontrolle verloren und Ängste zugelassen – wer scoren will, muss eben raus aus der Defensive. Wir haben uns wieder Möglichkeitsräume erschlossen, in denen wir freier denken, freier atmen, weiter träumen können. Unsere Köpfe stecken heute im permanenten »Was wäre, wenn«.

 

Einige meiner Träume sind bereits wahr geworden: Wir fanden uns zusammen, wir halten zusammen. Und wir können andere in unser Stadion der Träume einladen. So wie uns Träume in Bewegung versetzen, träumen wir davon, auch andere in Bewegung zu bringen. Wir träumen davon, dass viele Leute von den himmelhohen Rängen zu uns kommen, sich uns anschließen, neue Bälle und neue Tore mitbringen und einen mutigen Schritt aufs Spielfeld machen. 

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